Kolumne über Wohnraumerweiterung auf dem Dach

Uwe Siemer durfte als Kolumnist die Oktober 2019 Ausgabe des TAMI Magazins (Seite 19) bereichern. Den Originalartikel finden Sie auf tami-magazin.de, alternativ zeigen wir Ihnen den Beitrag anbei.

Die Stadt über der Stadt

Man steht auf dem Hügel über der Stadt, den Blick gerichtet auf Kirchen, Industrie-Hallen, Wahrzeichen und Häuser – eine endlose Dachlandschaft. Das trifft auf alle Städte zu, und man fragt sich, warum diese Dachlandschaften nicht weiter genutzt werden. Der Wohnraum ist knapp, die Nachfrage immens, Baugrundstücke gibt es kaum noch. Deshalb werden die bestehenden baulichen Strukturen saniert, aufgestockt oder abgerissen und mit Betonbaukästen samt Wärmedämmverbundfassade als Eigentumswohnung auf dem leergefegten Wohnungsmarkt angeboten. Alternativ werden Industriebrachen in Wohnraum umgewandelt oder Innenhöfe bebaut. So wird seit Jahrzehnten urbane Nachverdichtung umgesetzt. Die Aufgabe von uns Architekten besteht darin, diesen Prozess zu optimieren, gewissermaßen eine stetige Erneuerung der Stadt durchzuführen.

Die Wohnraumerweiterung auf dem Dach:

Die Visionen der Moderne werden immer wieder neu erfunden; die Filmarchitektur von „Star Wars“ oder „Das fünft e Element“ und auch Entwürfe von Designern und Architekten zeigen, was heute als Möglichkeit von vertikaler Stadt gedacht und vielleicht übermorgen gebaut wird. Im Hier und Jetzt sind die baurechtlichen Hürden für die Erweiterung in die Höhe allerdings schwer zu bewältigen. Der Denkmalschutz, Brandschutz, Fluchtwege, Baugenehmigung und Eigentumsrechte müssen beachtet und in die Planungen einbezogen werden. Dennoch, wenn es keinen Platz mehr gibt, muss die Stadt in die Höhe wachsen. Schnell umzusetzen sind kleinere Strukturen, lokale Dacherweiterungen oder Aufbauten. Aktuell werden die Ideen der „Tiny Houses“ unter Architekten rege diskutiert. Diese kleinen Einheiten, standardisierte Kleinsthäuser in ökologischer Holzbauweise, können an oder auf Bestandsgebäuden andocken und nutzen die bestehenden Versorgungsleitungen von Strom, Wasser und Abwasser.

Die Wohnraumerweiterung hat natürlich Grenzen in technischer, statischer und monetärer Hinsicht. Aber sie ist für jeden Besitzer einer Immobilie eine neue Möglichkeit, einen Mehrwert für den Bestand zu erreichen und der immensen Nachfrage nach Wohnraum gerecht zu werden. Natürlich hat die innerstädtische Nachverdichtung auch Folgen für den Verkehr und die Umwelt, die Stadtplaner werden zukünftig Themen wie „Smart City“, die Vernetzung von Menschen, Gebäuden, Institutionen mit den Energie- und Lebens- mittelversorgern, sowie den Ausbau des klassischen Nahverkehrs in den Fokus nehmen müssen. Gleichzeitig muss politisch gehandelt und das Baurecht den aktuellen Entwicklungen angepasst werden, denn tatsächlich scheitern zurzeit innerstädtische Bauprojekte z. B. an der Forderung nach Stellplätzen. Auch hier kann die Kultivierung der Dachflächen in jedem Falle helfen.

In Großstädten wie z. B. Berlin und New York wird schon seit Jahren „Urban Gardening“ betrieben. Die Systeme zur Bewirtschaftung mit Grünflächen, sogar mit Aquakulturen auf dem Dach, werden zunehmend professioneller. So wird den Städtern eine moderne und ökologisch nachhaltige Ernährungsquelle zur Verfügung gestellt.
Also, lasst uns die Dächer mit Leben füllen.

Uwe Siemer / Siemer Architektur Büro Trier